Nachhaltigkeit & nachhaltiger Konsum — Was ist das eigentlich?
Drei globale Hektar. Das ist in etwa der Platz den ich, Jonas Wendt, auf der Erde, durch meinen Konsum, in Anspruch nehme (1). Würden alle so viel verwenden, bräuchten wir 1,9 Erden. Trotzdessen, dass ich das G8 Turbo-Abitur durchmachen musste, ist mir sofort aufgefallen, dit is zu viel. Bis grade vor 15 Minuten hätte ich allen gesagt, ich lebe & konsumiere nachhaltig. Ich ernähre mich vegan, hauptsächlich saisonal und relativ viel “Bio”. Ich habe ein Fahrrad und benutze ansonsten hauptsächlich U & S-Bahnen. Ich bewohne ein spartanisch eingerichtetes 11qm Zimmer in einer wunderbaren 12er WG und heize nur wenn wirklich notwendig. Klamotten (bis auf Unterhose, Socken & Schuhe) kaufe ich nur gebraucht. Und tatsächlich, mein ökologischer Fussabdruck ist etwa 40% geringer, als der durchschnittliche deutsche Fussabdruck (1). Aber konsumiere ich deshalb, obwohl mein ökologischer Fussabdruck fast doppelt so groß ist, wie er sein sollte, nachhaltig? Was bedeutet dieses von allen verwendete Buzz-Word Nachhaltigkeit überhaupt?
Was bedeutet Nachhaltigkeit?
Der Begriff der Nachhaltigkeit wird im deutschsprachigen Raum auf Hans Carl von Carlowitz zurückgeführt (2). Vor 300 Jahren war die Ressource Holz eine der Wirtschafts und dadurch Lebensadern Deutschlands, was allerdings zu einer starken Entwaldung geführt hat (3). Carlowitz hat hackebeilscharf erkannt, dass wenn Bäume schneller gefällt werden als sie nachwachsen, es immer weniger von ihnen gibt. Das langfristige Problem des Ressourcenschwunds des Holzes anerkennend, trat Carlowitz deshalb für einen “nachhaltigen” Umgang mit dieser Ressource ein (4). Es solle nur so viel Holz gefällt werden, wie nachwachsen würde. Nachhaltigkeit bedeutet also, dass Handlungsbedingungen in der Zukunft nicht durch Handlungen in der Gegenwart verschlechtert werden. Dabei hatte er insbesondere die sozioökonomischen Bedingungen der folgenden Generationen im Blick:
„Wo Schaden aus unterbliebener Arbeit kommt, da wächst der Menschen Armut und Dürftigkeit” (Hans Carl von Carlowitz 1713: 105).
Das Thema der Nachhaltigkeit wird natürlich, wenn auch gerade leicht ausgebremst durch COVID-19, mit dem zunehmenden Bewusstsein für den Klimawandel immer präsenter. Die Menschheit hat bisher aber noch nicht vollends verstanden, dass je mehr wir unsere Umwelt zerstören, wir desto weniger von ihr leben können. Aber so langsam dämmert es uns immerhin. Dadurch wächst sowohl der Druck auf uns Menschen nachhaltig zu konsumieren, als auch der Druck auf Unternehmen nachhaltigen Konsum zu ermöglichen (5).
Was ist nachhaltiger Konsum?
Zwei der meist verwendeten Definitionen für das Konstrukt des nachhaltigen Konsums sind die sogenannten Oslo und Brundtland Definitionen. Die Oslo Definition ist aus einer Experten:Innen Versammlung entstanden, welche die norwegische Regierung in Oslo im Jahr 1994 einberufen hat und lautet:
“Sustainable Consumption and Production can be defined as […] the production and use of goods and services that respond to basic needs and bring a better quality of life, while minimising the use of natural resources, toxic materials and emissions of waste and pollutants over the life cycle, so as not to jeopardise the needs of future generations” (Oslo Symposium 1994).
Diese Definition wurde unter anderem auch von der Kommission für Nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen übernommen, erfährt in der (wissenschaftlichen) Debatte allerdings auch Kritik (6). Begrifflichkeiten wie Quality of Life oder Basic Needs seien zu ungenau, die genannten Maßnahmen, die ergriffen werden sollen seien zu willkürlich und die Definition unterscheide unzulänglich zwischen Produktion und Konsum.
Die Brundtland Definition der Vereinten Nationen, benannt nach einem ehemaligen norwegischen Ministerpräsidenten, hat eine breitere Akzeptanz gefunden. Nach ihr ist eine dauerhafte Entwicklung, die heute als nachhaltige Entwicklung verstanden wird, eine:
“Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, daß künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können” (Brundtland Kommission 1987: 46).
Aufbauend auf der Brundtland Definition differenzieren die zwei Nachhaltigkeitsexperten Prof. Belz und Dr. Billharz nachhaltigen Konsum in eine engere und eine weitere Verständnisweise (7). Nachhaltiger Konsum im weiteren Sinne sei auf Produkte und Dienstleistungen umzusteigen, welche fairer sind und weniger Fläche der Erde einnehmen würden, als die konventionellen Produkte oder Dienstleistungen dieser Art. Nachhaltiger Konsum im engeren Sinne sei Konsum, welcher andere Menschen weder benachteiligt noch dazu beitragen würde, dass der/die Konsumierende mehr als die ihm zustehende Fläche von etwa 1,6 globalen Hektar verbrauchen würde.
Die Balance zwischen zu wenig und unmöglich
Und damit aus der wissenschaftlichen Debatte wieder zurück zu meiner Real-Life Fragestellung: Lebe ich jetzt nachhaltig oder nicht? Ja & Nein ist wohl die Antwort. Im weiteren Sinne nach Belz & Bilharz konsumiere ich nachhaltig, da ich in den meisten Bereichen Produkte & Dienstleistungen verwende, welche fairer sind und weniger Platz auf der Erde einnehmen, als ihre Alternativen. Resultierend daraus nehme ich deutlich weniger Platz in Anspruch als der durchschnittliche Mensch in Deutschland und trage wohl auch zu weniger intra- und intergenerationaler Ungerechtigkeit bei. Trotzdem nehme ich aber noch doppelt so viel Platz in Anspruch als mir eigentlich zur Verfügung steht. Was Nachhaltigkeit im engeren Sinne angeht, bin ich also absolut katastrophal gescheitert.
Was sollte jetzt aber die Richtgröße für mich sein? Sollte ich weiter “nur” darauf achten, fairere & nachhaltigere Produkte zu konsumieren oder muss ich streng darauf achten so zu leben, dass ich maximal 1,6 anstatt der derzeitigen 3 globalen Hektar verwende? Ist es in Deutschland überhaupt möglich nur eine Erde zu verwenden? Allein der Sockelbetrag (kollektiver Fußabdruck durch Infrastruktur wie etwa Straßen oder Schulen) beträgt 0,9 globale Hektar (1). Bleiben also nur 0,7 globale Hektar übrig für Ernährung, Mobilität, Wohnen und sonstigen Konsum. Da darf kaum eine Feuertonne unter der Brücke (unter welcher dann gelebt werden muss) angemacht werden.
Andererseits, reicht Nachhaltigkeit im weiteren Sinne? Was besser ist, ist nach dieser Verständnisweise zwar nicht am besten, aber eben trotzdem gut. Niemand weiß wirklich wo der “Point of no Return” beim Klimawandel liegt, aber es wird klarer und klarer, dass wir immer näher an ihn heran rasen. Immer näher an eine Zukunft, welche geprägt sein wird durch einen globalen Verlust an Sicherheit und Lebensqualität im nie dagewesenen Maße. Ist besser da wirklich gut genug?
Bisher habe ich über nachhaltigen Konsum auf persönlicher/ individueller Ebene gesprochen, doch was bedeutet das für Unternehmen? Für Erzeugende würde das bedeuten, dass ihre Produkte im weiteren Sinne nachhaltig sind, wenn sie sozial & ökologisch besser sind als konkurrenz Produkte. Produkte wären im weiteren Sinne nachhaltig, wenn es realistisch ist, dass die Konsumierenden auch trotz oder gerade wegen des Konsumierens des Produktes nicht mehr als hochgerechnet eine Erde verwenden müssen und zu keinen intra- oder intergenerationalen Ungerechtigkeiten beitragen.
Aber auch hier stellt sich die gleiche Frage: reicht es, besser als die Konkurrenz zu sein oder muss ein Unternehmen seine Kunden:Innen via seines Produktes aktiv dabei unterstützen weniger als eine Erde zu verwenden und intra-oder intergenerationale Benachteiligungen zu verhindern? Ich persönlich bin der Meinung, ersteres reicht im Angesicht der vor uns stehenden Herausforderungen nicht mehr und zweiteres ist zu unrealistisch um als Orientierung dienen zu können. Aber wenn wir über eine nachhaltige Wirtschaft und F&B-Branche sprechen , was meinen wir dann damit?
Quellen
- Brot für die Welt Website (2020): Fussabdrucktest.
- Zürcher, Ulrich (1965): Die Idee der Nachhaltigkeit unter spezieller Berücksichtigung der Gesichtspunkte der Forsteinrichtung.
- Reisch, Lucia A./ Schmidt, Mario (2017): Nachhaltige Entwicklung.
- Carlowitz, Hans C. (1713): Sylvicultura oeconomica.
- Grunwald, Armin (2010): Wider die Privatisierung der Nachhaltigkeit.
- Fischer, Daniel/ Michelsen, Gerd/ Blättel-Mink, Birgit/ Di Giulio, Antonietta (2011): Nachhaltiger Konsum — Wie lässt sich Nachhaltigkeit im Konsum beurteilen.
- Belz, Frank-Martin/ Bilharz, Michael (2007): Nachhaltiger Konsum, geteilte Verantwortung und Verbraucherpolitik.
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